Andreas und Petra / Auszug einer Beispiel-Episode aus "Eine Rose für Dich"
Zwei Menschen gehen eine einsame Straße entlang. Längst hat die Sonne an diesem Spätsommerabend ihren Dienst beendet und Platz gemacht für Dunkelheit und Stille.
Sie gehen langsam, diese zwei, sind einander noch fern. Und doch auch irgendwie schon nah.
Er und sie, sie und er. Zu zweit und doch kein Paar. In Zukunft vielleicht, wer weiß das schon?
Er - Andreas, sie - Petra. Kollegen. Kollegen nur, nicht mehr. Bislang. Das Leben hat jedem auf seine Weise arg mitgespielt. Beide so um die Vierzig. Beide auf der Suche. Auf der Suche nach einem Neubeginn. Sie kennen einander schon seit Jahren durch die gemeinsame Arbeit im Betrieb. Gespräche in den Pausen, Feiern, hin und wieder mal saßen sie auch beim Essen nebeneinander. Ein wenig lernten sie einander kennen. Was man heute so unter „kennen“ versteht. Wissen noch nicht viel vom anderen. Aber eines ist klar: dass im Dienst auf ihn, auf sie Verlass ist.
Und sie wissen um das Alleinsein des Anderen. Ihr ist der Mann weggelaufen, vier Jahre ist das her. Ihm starb die Frau, die er fast zwei Jahrzehnte mit ihrer unheilbaren Krankheit nicht allein ließ.
Seit einiger Zeit schon geht Sympathie füreinander mit ihnen den gleichen Weg.
Nur Sympathie.
Aber das ist doch schon etwas! Das ist ein Funken Hoffnung. Hoffnung auf das Unbekannte, das Neue. Hoffnung auf das Gemeinsame für beide. Und damit auch schon einmal Erlebtes.
Es war ein schöner Abend. Für beide. Im Restaurant gab es gutes Essen, und der anschließende Film im Kino hatte seinen tiefen Sinn. Gut umgesetzt, ein stiller Film, mit leisen Worten. Nicht die lauten Reden sind´s, die zählen, manch leises Wort wiegt schwerer.
Morgen ist Samstag, so haben sie keine Eile. Ungewissheit ist ihr Begleiter. Unentschlossenheit wohl auch.
„Und du meinst, das geht?“, sucht Petra nach einer Antwort auf eine Frage, die sie sich in Gedanken eigentlich selbst gestellt hat.
„Was geht?“, fragt Andreas ebenso nachdenklich. Nichts ahnend.
„Du weißt, was ich meine. Sehr gut weißt du es. … der Kopf schon hier, das Herz noch dort, … Oder umgekehrt.“
Um dieses undefinierbare Wörtchen „dort“ genauer zu beschreiben, hebt sie ihren rechten Arm und deutet mit dem Zeigefinger ins Irgendwo der Ferne am Himmel. Wenig später sinkt ihr Arm wie kraftlos nieder. Es scheint, als sei ihr genau von dort, wo sie hindeutete, jegliche Energie genommen worden.
Hier, am Stadtrand, ist Weite etwas Greifbares. Längst ist die Abendsonne hinterm Horizont verschwunden. Am Firmament tauchen alte Freunde auf. Wer hat nicht schon zu ihnen gesprochen? Wer freut sich nicht, so lang Bekannte wieder zu sehen, wenn nur sie ihm noch bleiben? Sie, diese geduldigen, stillen Weggefährten im Universum. Ihr Blick geht hin zu ihnen, hinauf, um dort zu verweilen.
Dann ballt sie die linke Hand zur Faust und drückt sie an ihre Brust.
„… Das Sitzen zwischen zwei Stühlen, meine ich!“ Sehnsucht spiegelt sich in ihren Augen, deren Blick sie nun genau auf die ihres Weggefährten richtet.
„Ich hab es noch nicht probiert. Nie! All die Jahre nicht, als Sabine noch da war für mich. Die vielen schönen und doch schweren Jahre, weißt du? Wahrhaftig, es war manchmal wirklich nicht einfach. Aber, was ist schon einfach? Ehrlich, wir haben es uns doch auch selbst nicht leicht gemacht. Hätten wir sonst diese wundervolle Zeit miteinander gehabt, Sabine und ich? All die wertvollen Augenblicke? Ohne dass wir beide an einem Strang gezogen hätten, wäre doch nur wenig vom Leben geblieben. Sicher wäre es leichter für mich gewesen, wenn ich mich von ihr getrennt hätte, als es damals anfing mit ihrer Krankheit. Wir waren ja noch nicht mal verheiratet. Aber ich hab sie geliebt, verstehst du? Und gerade weil uns diese Jahre aufgelastet waren, ist mein Leben so reich gewesen. Jeder Tag, jeder einzelne. Ich hätte sie nicht allein lassen können. Und nun ist alles vorbei. Alles mit ihr. Endgültig. Das ist ja das Schlimme. Diese ach so unbezwingbare Endgültigkeit. Sie ist gegangen, ohne dass sie es selbst wirklich wollte. Ohne ade zu sagen… ohne Leb wohl sagen zu können. Gewiss hätte sie es gewollt.“
Andreas blickt versonnen an ihr vorbei. Erst Petras Antwort holt ihn zurück.
„Als mein Mann mich verlassen hat, da hat er auch nicht Tschüss gesagt! Er ging einfach so. Während ich auf Arbeit war, hat er seine Klamotten aus der Wohnung geholt, und weg war er. Kein ´Leb wohl´, kein ´Mach´s gut´!“
„Aber er hätte es tun können.“ Seine Stimme klingt plötzlich fast erregt. Vielleicht ist es auch die Enttäuschung, dass seine Frau diese Chance nie hatte. Leiser fügt er hinzu: „Entschuldige bitte, aber dein Ex hätte es gekonnt. Der lebt!“
Lange Sekunden vergehen. Schweigend gehen sie nebeneinander her. Wortlos bleiben sie an der Ampel stehen. Das Rot leuchtet scheinbar kräftiger als üblich in die Dunkelheit hinein. Als wolle es ihnen ein Signal geben, das nichts mit der Kreuzung zu tun hat. Als wolle es sagen: Ihr seid auf dem falschen Weg! Vorwürfe und Schweigen bringen euch beide nicht weiter…
„Schon gut, du hast ja Recht“, sagt Petra und fügt, fast traurig klingt es, hinzu: „Ich glaube nur immer, du wirst sie nie los, deine Sabine. Nie mehr! Mit jedem Tag, den ihr euch weiter voneinander entfernt, bist du ihr näher.“
Sie bekommt keine Antwort darauf.
„Du wirst nie auf einem anderen Stuhl sitzen, auch in hundert Jahren nicht! Ich glaube, dazu ist es längst zu spät.“ In ihren Worten schwingt ein großes Maß an Traurigkeit. Oder ist es schon ein Stück gewonnen geglaubter, aber in diesem Augenblick offenbar verloren gegangener Hoffnung?
„Aber du, Petra, ich denk, das geht. Wirklich!“ Er bleibt stehen, wendet sich ihr zu, um sie ansehen zu können. „Schau, ich hab so lange mit ihr gelebt. Sie war meine erste und einzige Liebe. Es ist gerade erst vierzehn Monate her. Das war nicht einfach. Und leichter wird es auch in Zukunft nicht. Glaub ich! Aber ein tragischer Schicksalsschlag aus meiner Vergangenheit darf doch nicht automatisch nur noch eine traurige Zukunft für mich bedeuten. Oder? Ich brauche noch Zeit, dann wird es gehen.“
Und leise noch einmal, wie für sie zur Bestätigung, doch eigentlich wohl nur, um sich selber Mut zu machen: „Es geht… Irgendwann wird es gehen. Du musst Geduld haben, wie ich. Du, … ein klein wenig nur. Ich will mich nur in Ruhe von ihr verabschieden. Abschied nehmen, ihr noch all das sagen, was ich ihr sagen muss, damit es nicht ungesagt bleibt. Vielleicht braucht sie meine Worte… Ich bitte dich, versteh: All das geht nicht von heute auf morgen. Aber es kommt die Zeit, glaub mir.“
Petra sieht ihn von der Seite an. „Du wirst nicht ewig zwischen ihr und mir pendeln können. Das würde sie nicht wollen. Nicht, wenn sie noch lebte, und nun schon erst recht nicht!“
Andreas schweigt. Lange gibt er keine Antwort. Langsam gehen sie weiter. Noch hat er nicht den Mut, nicht die Kraft, all die schönen Stunden zu verdrängen. Aber auch nicht die Entschlossenheit, Petra bei der Hand zu nehmen. Und damit sich Neuem zuzuwenden. Mit ihr, die sich so auf ihn freut. Sieht er sie überhaupt? Sie, die neben ihm geht, stets das Gesicht zugewandt, damit sie ihn ansehen kann. Jeden Moment. So sehr genießt sie wirklich jeden Augenblick mit ihm.
„Lass uns nicht darüber reden. Zu viel ist schon gescheitert, weil zerredet. Vor lauter Reden kommt man zu nichts. Davon geht so viel kaputt.“
„Merkwürdig!“, sagt sie nachdenklich, schweigt eine Weile, um dann zu sagen: „Ich lebe mit meinem Sohn allein. Und weißt du warum?“ Sie wartet nicht auf seine Antwort: „Weil mein Mann zu wenig mit mir sprach.“
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