Der Flaschenautomat war mal wieder voll wie unser Elferrat beim Karneval, dafür war das Kaffeeregal leer. Am Poststand verharrte eine lange Schlange, gerade so als habe jeder von der Regierung sein persönliches Rettungspaket zugesandt bekommen. Frau Kluckenkamp-Möllendorf, Mitte 30 und in die Heimat zurückgekehrte „Alteigentümerin“, die aus dem westfälischen zuge- zogen war, reklamiert an der Kasse, dass die Himbeeren, die gerade in der Werbung sind, nicht 500 Gramm wiegen sondern nur 498. Die flinke Gisi an der Kasse rief ihr zu, dass sie die Schale selbst nachwiegt und dann automatisch die fehlenden zwei Gramm abzieht. Frau Kluckenkamp - Möllendorf aber besteht auf 500 Gramm, so stehe es in ihrem Backbuch. Eine Praktikantin füllt die Gefriertruhen auf und Heini Wuschke liest wie immer um diese Zeit die Lokalzeitung am Zeitungsständer. Gekauft hat er noch nie eine. Elschpietta aus Polen, die vor 8 Wochen im Dorf ein „Verwöhnstudio für den anspruchsvollen Herrn“ eröffnet hatte, kaufte wie jeden Montag 100 Kondome und bekam vom Kassierer einen Schwangerschaftstest gratis. Frau Meyer zahlt 14 Euro achtzig in 2, 5, und 10 Centstücken, die Schlange hinter ihr wächst unermüdlich, bis sie bei 14 Euro 40 feststellt, dass das Geld doch nicht reiche. „Naja, ein Zehner und eine Fünferschein tun’s ja auch!“ sagt sie mit einem Lächeln. Unser Dorf, unsere Menschen, unsere Zeit. Nichts wirklich aufregendes mehr, ’89 ist lange her. Der Alltag hat uns wieder.
Doch dann: dann kam sie. Sie! Ein Traum von Milch und Honig, Miss Universum, eine Fee vom anderen Stern. Ihr dunkles langes Haar fiel sanft gelockt über ihre Schultern und umhüllte ein Gesicht, so makellos und schön, Dieter Bohlen hätte sie zum Superstar gemacht, ohne dass sie die Bühne je betreten hätte. In ein weißes Shirt gehüllt wippten ihre Brüste bei jedem Schritt im Takt, und verrieten eine Festigkeit, von der selbst Paranüsse nur träumen konnten. Der enge Rock, was heißt Rock, es war eher ein Gürtel, verhüllte nur gerade so ihren Po, schon wenn sie sich auch nur ein Prozent geneigt hätte, hätte dies jedermann verraten, ob sie was drunter trug. Begünstigt wurden diese Einblicke durch ihre unendlich langen Beine, die in noch unendlicheren knallroten Highheels steckten. Und wie sie damit ging! Ach was ging! Sie schritt, sie zelebrierte ihre Fortbewegung. Wie kann man mit so langen Beinen in solchen Schuhen nur so laufen??? So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen, unser Dörfchen schon gar nicht. Rote Highheels! Und was da drin steckte. Dass irdische Materie sooo schön sein kann! Selbst Cindy aus Marzahn würde vor Neid erblassen. Dem alten Schönig, der gerade am Backstand sein obligatorisches halbes Brötchen verzehrte, fiel beim Anblick dieser formvollendeten Weiblichkeit der obere Zahnersatz in die Kaffeetasse. Schmidti, der gerade bezahlen wollte, fing an zu zittern, er verschüttete sämtliches Kleingeld aus seinem Portmonee. Richtig viel Kleingeld, dass nun über den grauen Fußboden in alle Richtungen auseinander kullerte. So war er der erste, der den schwarzen Tanga der Außerirdischen zu Gesicht bekam. An keinem anderen Tag hätte ihm jemand geholfen, das Geld einzusammeln, heute prügelten sich 5 Mann um die besten Plätze auf dem Fußboden. Durch das „Mein lieber Scholli“ das dem geilen Heini – Vater von 8 Kindern mit 6 Frauen - staunend entfuhr, kam richtig Leben in den Markt. Alles drehte sich zum Eingang und sah die Sonne aufgehen obwohl der Markt kein Cabrio war. Eddi am Flaschenstand blieb der Mund offen stehen, die Augen schlugen an die Brillengläser und so schmiss er erstmal drei Flaschen runter, ehe er merkte, dass der Automat rechts von ihm stand und nicht links. Das Klirren wiederum holte nun auch die letzten noch zwischen den Regalen versteckten Kunden und Kundinnen hervor. Die Kundinnen sahen das in roten Highheels schreitende Unheil mit Schrecken. Hoffentlich fängt die nicht bei Elschpieta an zu arbeiten! Gerda pfiff ihren Angetrauten sofort zurück, „Komm Willi, wir gehen nachher einkaufen, eigentlich haben wir auch alles, mach hin!“, fasste ihn bei der Hand und schleifte ihn hinter sich ehr. Zur Sicherheit nahm sie ihm auch seine Brille weg.
„Haste dit jesehn?“ fragt Kuno seine Barbara. Barbara sagt: Na klar, sehn gut aus, die Schuhe“. „Typisch Frau“ empört sich Kuno, denkt nur an’n Kleiderschrank. Ich möchte den Kerl sehen, der bei so einem Anblick an nen Kleiderschrank denkt. Der is entweder blind oder umoperiert.“
„Kiek dir die Frau ma an!“ befahl Egbert seiner Frau.
„Na der sag mal, die soll Kartoffeln racken oder Rüben verziehen, die kommt mit ihre Latschen jar nich uffn Acker!“
Die galaktische Erscheinung war mindestens einsfünfundneunzig hoch, trug 85vierfachD und war so wunderbar jung. Lag das Durchschnittalter der Kundschaft noch vor wenigen Minuten irgendwo zwischen 60 und 70, war es jetzt noch höchstens viertel drei. So durcheinander war alles geraten. Für die Männer unseres Dorfes war es vollkommen ungewohnt, nach oben zu gucken, wenn sie einer Dame ins Gesicht sehen wollten, weil hier keiner höher ist als einssechzig. Größere passen nämlich nicht durch die Tür im „Blauen Ochsen!“ Oder nur gebückt. Das mag beim Reingehen ja noch funktionieren, aber zurück? Wenn’s ohnehin schon im Hals würgt? Dann noch Bücken?...
Was die unbekannte Schöne in der Männerwelt noch so auslöst, und welche Auswirkungen dies für die Dorfgemeinschaft und den Einzelhandel der ganzen Region hat, erfahren Sie in "Auch ein glatter Aal stinkt nach Fisch"
In einer der über 30 Geschichten beginnen übrigens alle über 1300 Worte mit dem Buchstaben E. ...